Kaufe keine kranke Katze aus Mitleid

... Ich wünschte mir ein kleines schwarzes Kätzchen. Und ein gesundes, wie ich ja seit kurzem wusste. Und ein Kater sollte es sein. Davon hatte ich wohl so ziemlich jedem in meinem Freundes- und Bekanntenkreis erzählt. So kam mir eines Tages zu Ohren, dass die Stiefmutter der Freundin von Martinas Bruder ein junges Kätzchen abzugeben hatte, welches ich haben könnte, wenn es mir nichts ausmachen würde, dass es einen weißen Latz auf der Brust hätte. Also, ich bitte Euch…! Und so machte ich mich eines schönen Aprilnachmittags 1998 gemeinsam mit der Freundin – nennen wir sie mal Schneewittchen - und einem ausrangierten Einkaufskorb auf den Weg, um meine kleine gesunde schwarze Katze abzuholen… Sicher ahnt Ihr was kommt…! Immerhin war es ein Kater… Und das war in der Tat das einzige, was meine Wunschvorstellung mit dem zerrupften Klappergestell auf dem Arm der Stiefmutter von Schneewittchen gemeinsam hatte. Die (böse) Stiefmutter grinste und sprach zu mir mit den Worten, ich solle den kleinen süßen Scheißer doch einfach mal selbst auf den Arm nehmen, damit wir uns ein wenig beschnuppern konnten. Klein? Süß? Der arme Kerl sah aus, als würde es schon sehr bald den letzen Tag seines durchaus bereits halbwüchsigen Lebens erleben. Sein Fell war struppig und stand in alle Richtungen ab. Zur Farbe war zu sagen, dass er ein paar große schwarze Flecken auf seinem weißen Fell hatte. Ach was soll’s, dachte ich, Hauptsache er ist gesund…

Ein bisschen zögernd nahm ich Klappergestell auf den Arm. Er zitterte wie Espenlaub. Ich streichelte ihm über das struppige Fell und drückte ihn an mich, damit er sich ein wenig beruhigen konnte. Nach zehn Sekunden fing er zu schnurren an, drehte sein Gesicht zu mir um und schaute mich völlig verstört aus zwei mit Tränenflüssigkeit und diversen Sekreten verkrusteten Augen an. Ich wusste, wie eine gesunde Katze aussehen sollte. So nicht…! Klappergestell sah so sagenhaft krank aus, dass mich die große Mitleidswoge eiskalt von hinten erwischte. Er presste seinen Kopf an meinen Hals und drückte sich mit aller Macht an mich, Vorwurfsvoll wandte ich mich an die böse Stiefmutter und wollte von ihr wissen, warum Klappergestell so erbarmungswürdig aussah. Ach, das sei wohl nichts. Sie wäre beim Tierarzt gewesen und der hätte ihr versichert, dass das nur ein harmloser Schnupfen sei. Auf meine Frage, wo denn der Impfausweis sei, wenn sie mit ihm beim Tierarzt gewesen wäre, warf sie mir nur einen stechenden Blick zu und fragte, ob ich die Katze nun haben wollte oder nicht?! Schneewittchen stand am Rand und wandte nervös den Blick ab. Ich fragte mich ernsthaft, wo die böse Stiefmutter in dieser geleckten Vorstadtsiedlung ohne Garten dieses verlauste Fellknäuel überhaupt her hatte. Und noch viel besorgter fragte ich mich, was wohl mit ihm geschehen würde, wenn ich mich jetzt nicht über den eben erst gelernten und wichtigsten Grundsatz des Katzenkaufes hinwegsetzte… Ich entschied kurzerhand meine Handlung nicht von der Antwort auf diese Frage abhängig zu machen, setzte Klappergestell in den Einkaufskorb und verließ mit einem betretenen Schneewittchen im Schlepptau die Bühne der Vorstadtsiedlung. Während der Fahrt zurück in die Stadt beteuerte Schneewittchen die ganze Zeit, sie habe wirklich nicht gewusst, dass die Katze so wenig schwarz sei… Ich gab es auf… Ich ließ Schneewittchen an einer Straßenkreuzung raus. Drei Wochen später machte Martinas Bruder mit ihr Schluss und ich sah sie nie wieder.

Zu Hause angekommen erwarteten mich die restlichen Bewohner unserer Hausgemeinschaft bereits freudig. Mein Gesichtsausdruck jedoch dürfte kaum einer der glücklichen Sorte gewesen sein, als ich mit dem Einkaufskorb zur Tür herein kam. Ich stellte ihn in der Mitte der Küche ab und bestellte bei Martina erst mal einen Schnaps. Während Klappergestell vorsichtig aus dem Körbchen geklettert kam und alle Anwesenden mit einem Nieser begrüßte, schlugen die Mienen von erwartungsfreudig in mitleidig um und ich nahm den griechischen Anisschnaps dankbar entgegen. Sie sah wohl, dass ich alles andere als begeistert war und versuchte, es nach Möglichkeit nicht noch schlimmer zu machen. „Ach na ja, der ist doch ganz niedlich…“ gab es da zu hören und dafür liebte ich sie! Ich saß im Schneidersitz auf dem Küchenfußboden und Klappergestell hüpfte in meinen Schoß. Er kringelte sich ein und war sofort erschöpft eingeschlafen. Ich beschloss ihn Käpt’n Ouzo zu nennen und versprach ihm, mich immer gut um ihn zu kümmern.

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Der erste Besuch beim Tierarzt am nächsten Tag bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen. Unauskurierter Katzenschnupfen bei einem nicht geimpften Tier in schon recht fortgeschrittenem Stadium. Wo ich denn so ein armes Wesen her hatte, wollte der Doktor von mir wissen. Das wollte ich aber auch gern mal wissen…! Käpt’n Ouzo bekam die volle Ladung Antibiotika und ich die Rechnung. 106,00 DM – Folgebehandlung unbedingt erforderlich. Natürlich. Über einen Monat und noch mal 150,00 DM später hatten wir Ouzo’s Augen soweit, dass sie nicht mehr in einem fort tränten, sondern nur noch manchmal. Das Niesen wollte sich indes nicht legen. Im Gegenteil, wenn er von draußen kam und gerade erst die von meinem Papa extra für ihn angefertigte Katzenleiter nach oben gehetzt war, keuchte er zum Gotterbarmen. Ich hatte eine Katze mit Asthma!
Aber dem nicht genug. Seiner übermäßigen Schreckhaftigkeit und Panik zufolge musste Käpt`n Ouzo  in seiner unbekannten Jugend auch psychologisch hochgradig geschädigt worden sein. Bei jedem Geräusch, sprang er sofort auf meinen Schoß oder versteckte sich unter Schränken und Betten und kam so richtig lange nicht mehr darunter hervor. Andere Menschen sahen ihn eher selten, weil er anfangs nur zu mir - wenn auch zurückhaltendes - Vertrauen hatte. So hatte er sich z.B. eines Tages, als er sich allein im Hause wähnte, in einem Gefühl der vollkommenen Sicherheit in Steffens etwas streng riechenden Gartenarbeitsschuhen zum Mittagsschlaf niedergelassen. Als Martina die Haustür öffnete und Käpt’n Ouzo unsanft aus seinen Mäuseträumen gerissen wurde, erschreckte er sich so stark, dass die Schuhe ab diesem Tag noch strenger rochen. Seiner panischen Hatz ins Obergeschoss fielen ein im Flur abgestellter Karton und zwei Blumentöpfe zum Opfer…

Käpt’n Ouzo war der personifizierte Gegensatz. Zum einen bekam er die totale Panik, wenn im Fernsehen nur mal eine Szene im Actionfilm etwas lauter war. In solchen Momenten sah man den schwarz-weißen Schwanz gerade noch hinter den Büchern im Regal verschwinden. Der Nieser aus dem Regal war eindeutig nicht auf die alten Schinken zurück zu führen. Andererseits versetzte der zierliche Kerl die große schwarze Schäferhund/Irgendwas-Mischlingsdame Erna, die uns ab und zu mal besuchte, regelmäßig in Angst und Schrecken. Erna, ca. zehn mal so groß wie Ouzo, hielt es mit ihm nur im selben Raum aus, wenn sie sich ganz eng an einen von uns pressen konnte. Ouzo, der Schreckliche...
Im Juni hatten der Tierarzt und meine gute Pflege sein Fell wieder zum glänzen gebracht. Menschen, die ihn sahen, kamen wieder von selbst auf die Idee, ihn zu streicheln. Aber er nieste und nieste…


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Im Juli waren die nervösen Essstörungen verschwunden, die mich schon fast mit nervös gemacht hatten. Nun begann er die Freude am Schlemmen zu entdecken. Bald stellte sich heraus, dass er ein Faible für Saures und Salziges hatte. Dass Katzen Saure Sahne mögen ist hinlänglich bekannt. Dass man ihm auch gern von den Oliven abgeben durfte, daran hatte ich mich auch noch relativ schnell gewöhnt. Doch als er sich eines Tages ein ganzes Stück Schafskäse vom Tisch mopste, um es dann, nachdem er es mühevoll aus seiner verschweißten Packung heraus gebissen hatte, in einem Ritt zu verschlingen, war sogar ich einigermaßen sprachlos. Er stand neben der vollkommen zerfetzten Feta-Verpackung und schaute mich mit schrägem Kopf und unschuldigem Blick an. Und gerade als ich denken wollte, wenn eine Katze so etwas zustande bringt, dann kann sie unmöglich noch krank sein, nieste er mit voller Wucht, dass er beinah das Gleichgewicht verlor.
 
Im August röchelte er nur noch ganz selten. Er war um einiges selbstbewusster geworden und hielt seinen Mittagsschlaf jetzt nicht mehr in dunklen Ecken sondern auf dem Bügelbrett oder für jedermann sichtbar in der Sonne auf der Fensterbank ab. Überhaupt war er weniger schreckhaft als am Anfang. Und wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, wartete er auf mich in der Hofeinfahrt. Immer, wenn ich ihn sah, war ich stolz, dass ich es geschafft hatte, aus einem verstörten und zerrissenen Katzenschatten tatsächlich so etwas wie einen richtigen Kater gemacht zu haben. Den ehemals so mutig in den Wind geschlagenen Ratschlag, niemals eine kranke Katze aus Mitleid zu kaufen, hatte ich in die hinterste Ecke meines Kopfes verbannt. Sein nie besser gewordenes Niesen inzwischen einfach ignorierend, gab ich mich ganz der Illusion hin, die Situation und Käpt’n Ouzo seien völlig normal. 

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Im September begannen die Augen wieder zu tränen und durch die Nase bekam er nur noch ganz schwer Luft. Er schnaufte wie ein D-Zug, wenn er von seinem täglichen Streifzug durch die Gärten zurückkam. Die Krönung seines herbstlichen Tiefs war aber mit Sicherheit sein Ausflug in den Nachbargarten von Bäcker Schulze, während dieser gerade seine Terrassendecke betonierte. Und nur der Tatsache, dass Herr Schulze seinen Akkuschrauber auf der Baustelle hatte liegen lassen und deshalb abends halb zehn doch noch mal nach draußen ging, war es zu verdanken, dass ich Käpt’n Ouzo nicht aus seinem sizilianischen Grabmal herausstemmen musste… So beschränkte sich die Säuberung des Fells auf eine fast zweistündige Wannenaktion mit anschließender Föntrocknung, die von allen Beteiligten höchstmöglichen Einsatz und Konzentration erforderte. Derlei Erlebnisse gepaart mit mangelnder Sauerstoffzufuhr ließen Käpt’n Ouzos Gesundheitszustand wieder um Meilen zurück fallen. Allen grauen Beton- oder Steinplatten ging er seit dem aus dem Weg.

Im Oktober entschied der Tierarzt, dass wir um eine Operation nicht mehr herum  kämen. Da der Termin für Ouzo’s Kastration sowieso schon fest und in den Küchenkalender geschrieben stand, plädierte er für eine kombinierte OP, in der er ihm gleich die verstopfte Nase durchstoßen wollte. (Ich preferierte dieses Wort nicht, es handelt sich hierbei nur leider um den von den Ärzten benutzen Standardausdruck. Barbaren…!) Der Doktor erklärte mir, wie sinnvoll sein Vorhaben sei, Käpt’n Ouzo in einem Zug sowohl von seiner Freischwingerabteilung als auch von seiner Nasenverkrustung zu befreien und dass ich ab diesem Monat auch mit der ec-Karte bei ihm bezahlen könnte… Ich entschied mich für die OP und zahlte bar. Ich wollte aus dem röchelnden Katzen-Wrack unbedingt wieder einen draufgängerischen Helden machen!
Nach der Arbeit holte ich Käpt’n Ouzo beim Tierarzt ab. Mein Held lag bei geöffneter Tür im Körbchen (was unter normalen Voraussetzungen undenkbar gewesen wäre) und schielte mich an. Der Arzt erklärte mir, dass das normal sei und dass Katzen während einer Narkose nur so aussehen, als seien sie wach, es aber wohl nicht sind – hoffte ich. Er meinte auch, dass dieser Zustand wohl noch den ganzen Abend andauern könnte. Ich solle nur dafür sorgen, dass er nicht allein ist, wenn er aufwacht und nicht gleich irgendwo runterspringen sollte. Das erschien mir sinnvoll und einfach.
Er erwachte natürlich schon viel früher, als der Arzt voraus gesagt hatte. Aber nur, um für den Rest des Abends wie betrunken im Wohnzimmer herum zu stolpern. Nach dem er sich von den Strapazen der Operation erholt hatte, erblühte Käpt’n Ouzo förmlich zu neuem Leben. Vergessen waren die abwechselnden Keuch- und Röchelattackten, die verklebten und tränenden Augen. Ja, er nieste nicht mal mehr…! Ein Wunder war geschehen! Nach sechs Monaten intensivster Pflege und Medikation war meine Mission endlich erfolgreich. Hier stand er vor mir, Käpt’n Ouzo - stolz und gesund. In ihm steckten über 1000 DM und all meine Liebe.

Im November fuhr ich für fünf Wochen nach Griechenland. Als ich zurück kam, war Käpt’n Ouzo nicht mehr da…


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 © 2005-2008 Silke Hendess - Last update: 12-Mai-2010